Leben mit Tiefgang (VI):
Bei Jesus sein – Geistliche Gemeinschaft
So wie unser Leib aus vielen Gliedern besteht und diese Glieder einen Leib bilden, so besteht auch
die Gemeinde Christi aus vielen Gliedern und ist doch ein einziger Leib. 1. Korinther 12, 12 (HFA)
„Wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen.“ (Matthäus
18, 20)
Wenn wir aber im Licht leben, wie Gott selbst im Licht ist, haben wir Gemeinschaft miteinander.
Dann reinigt uns das Blut von jeder Schuld, das sein Sohn Jesus für uns vergossen hat. (1. Johannes
1, 7, BasisBibel)
Sie blieben aber beständig in der Lehre der Apostel und in der Gemeinschaft und im Brotbrechen
und im Gebet. Apostelgeschichte 2, 42 (LB2017)
Liebe Leserinnen und Leser dieses Wochenbriefes!
Das griechische Wort für Gemeinschaft heißt „Koinonia“. Das bedeutet: teil-nehmen und teil-geben.
Darin waren die ersten Christen in Jerusalem beständig: Sie gaben Anteil an ihrem Leben und
nahmen Anteil am Leben der anderen. Dabei vertrauten sie der Verheißung von Jesus: „Wo zwei
oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen.“ (Matthäus 18, 20) Der
auferstandene Gekreuzigte, der Herr Jesus Christus, war als der Gegenwärtige mitten unter ihnen,
unsichtbar, aber wirklich. So war ihre Gemeinschaft geprägt: Weil sie einzeln jeweils zu Jesus
gehörten, gehörten sie selbstverständlich zueinander. Jesus in ihrer Mitte verband sie unverbrüchlich
und deshalb war ihre Gemeinschaft eine wirkliche „Koinonia“ – ein Geben und Nehmen.
Unsere westliche Kultur im 21. Jahrhundert ist stark vom Individualismus geprägt. Der Individualismus
ist ein Gedanken- und Wertesystem, in dem das Individuum im Mittelpunkt der Betrachtung steht. Die
Grundidee des Individualismus ist eine Befreiungsidee. Die Befreiung des Einzelnen von den
Zwängen des Kollektivs wird als angenehm empfunden, das Kollektiv als behindernd und beengend.
So versucht der moderne Mensch, so unabhängig wie möglich von anderen und so selbstbestimmt
und frei wie möglich zu leben. Die Folge ist, dass die Balance zwischen dem „Ich“ und dem
„Wir“ verloren zu gehen droht. Jeder fragt: „Was bringt mir das ‚Wir‘?“ Was mir nützt, nehme ich gerne
aus dem „Wir“ mit. Immer weniger fragen: „Was kann ich einbringen ins ‚Wir‘?“ Jeder erkennt, dass
das auf die Dauer nicht gutgehen kann. Wenn alle nehmen, aber nur wenige geben, kollabiert eine
Gemeinschaft, eine Gesellschaft, ja, auch eine Gemeinde.
Das neutestamentliche Bild von der Gemeinde als Leib Christi bringt uns die notwendige Korrektur
und eine motivierende Vision: Es geht gemeinsam viel besser. Und nur gemeinsam sind wir – mit
Jesus in unserer Mitte – stark! Gemeinsam beten, gemeinsam loben, gemeinsam einander und
anderen dienen, gemeinsam teilen, aneinander Anteil geben in Freud und Leid – dazu sind wir berufen
und – ja sogar! – geschaffen! In allen Zeiten und Kulturen der Weltgeschichte haben Menschen ihre
Heimat in einer „Sippe“ gehabt – bis die Industrialisierung, die Neuzeit, das Leben dramatisch
verändert hat hin zu Klein- und Kleinst-Familien, ja zu 50% und mehr Einzelhaushalten in unseren
Städten.
Die Gemeinde Jesu als „geistliche Sippe“ ist ein attraktiver Gegenentwurf zur Vereinzelung und
Vereinsamung des modernen Menschen. Dabei ist wichtig, dass Gemeinschaft kaum in Reihen, aber
vor allem in Kreisen gelingt. Neben dem Gottesdienst in Reihen braucht es kleine, überschaubare
„Jünger-Kreise“, in denen Glauben und Leben geteilt wird und geistliches Wachstum der einzelnen
im Miteinander gelingt. So war das im ersten Jahrhundert bei Jesus und in Jerusalem und in Korinth
– und so gelingt Gemeinschaft im 21. Jahrhundert z.B. auch in Bremen. Wenn wir uns bewusst neu
oder weiterhin dazu entscheiden und darauf konkret einlassen, beständig (!) teilzugeben und
teilzunehmen – mit Jesus in unserer Mitte!
Das kann konkret so Wirklichkeit werden: Im Gottesdienst, in einer Kleingruppe oder Zweierschaft,
in Seelsorge und Beichte, in echten Begegnungen und einem aufrichtigen Miteinander, im
gemeinsamen Dienst und beim gemeinsamen Beten. Dabei entscheiden wir selbst vor Gott und
den Menschen, wieviel „Tiefgang“ wir zulassen. Je intensiver wir uns auf geistliche Gemeinschaft
einlassen, desto mehr werden wir im Laufe der Zeit wachsen in der Jüngerschaft und Nachfolge.
Steffen Kahl, Pastor der Evangelisch-Freikirchlichen Kreuzgemeinde Bremen (06.04.2025 – KW15)