„Herr, sieh mich an! Herr, sieh uns an!“
HERR, du erforschest mich und kennest mich. Ich sitze oder stehe auf, so weißt du es;
du verstehst meine Gedanken von ferne. Ich gehe oder liege, so bist du um mich und
siehst alle meine Wege. Denn siehe, es ist kein Wort auf meiner Zunge, das du, HERR,
nicht alles wüsstest. Von allen Seiten umgibst du mich und hältst deine Hand über mir.
Diese Erkenntnis ist mir zu wunderbar und zu hoch, ich kann sie nicht begreifen. –
Erforsche mich, Gott, und erkenne mein Herz; prüfe mich und erkenne, wie ich’s meine.
Und sieh, ob ich auf bösem Wege bin, und leite mich auf ewigem Wege.
Psalm 139, 1-6.23.24
Liebe Leserinnen und Leser dieses Wochenbriefes!
Wie bekommen wir eine der Wirklichkeit angemessene Einschätzung von uns selbst, von anderen, von
uns als Kreuzgemeinde?
Selbsteinschätzung ist der Versuch, die eigene Person, zum Beispiel Fähigkeiten, Leistungen,
Liebesfähigkeit, Charakter und Reife zu beurteilen. Da Selbsteinschätzungen subjektiv sind, besteht die
Gefahr der Selbstüberschätzung oder Selbstunterschätzung.
Fremdeinschätzung ist eine Beurteilung einer Person durch andere, um ein objektiveres Bild zu erhalten.
Sie ermöglicht den Abgleich zwischen dem eigenen Selbstbild und der Außenwahrnehmung meiner
selbst. Durch den Vergleich der Fremdeinschätzung mit der Selbsteinschätzung können Diskrepanzen
aufgedeckt und eine realistischere Selbstwahrnehmung erlangt werden. Allerdings ist auch
Fremdeinschätzung beeinflusst von der Innenwelt des anderen, so dass auch Fremdeinschätzung
subjektiv eingefärbt sein kann.
„Herr, sieh mich an! Herr, sieh uns an!“ Wenn wir so beten, dann fragen wir nach Gottes Einschätzung
von mir und von uns, danach, was er wahrnimmt. Gott sei Dank dürfen wir damit rechnen, dass Gottes
Blick nicht gnadenlos und verurteilend ist: „Die Gnade und Wahrheit ist durch Jesus Christus geworden.“
(Johannes 1, 16b) Gottes Blick ist von Gnade und von Wahrheit geprägt. Das heißt, er ist mit uns nie
„fertig“! Er stellt uns in sein warmes und helles Licht, damit wir uns selbst erkennen können und uns weiter
öffnen für sein veränderndes Handeln. So wird seine Einschätzung ein Ruf zur Umkehr, eine Einladung
zu mehr Leben.
„Von allen Seiten umgibst du mich und hältst deine Hand über mir.“
Der Psalmist und König David staunt über die tatsächliche Gegenwart Gottes in seinem Leben. Auch
Paulus verkündigt z.B. den Athenern die gleiche Beschreibung der unsichtbaren Wirklichkeit: „Denn ER
ist ja jedem von uns ganz nahe. Durch IHN leben wir doch, regen wir uns, sind wir!“ (Apostelgeschichte
17, 27.28 GNB) Wir alle (!) leben also in der Gegenwart des Gottes, der als der Heilige Gott uns Menschen
liebt. Er ist der, der uns am allerbesten kennt. Seine Einschätzung von uns übertrifft jede
Selbsteinschätzung und jede Fremdeinschätzung. Gottes Wahrnehmung stimmt mit der Wirklichkeit
uneingeschränkt überein. Dem entsprechend ist der Heilige Geist der „Geist der Wahrheit“, seine Wahrheit
entspricht der Wirklichkeit: „Wenn aber jener kommt, der Geist der Wahrheit, wird er euch in alle Wahrheit
leiten.“ (Johannes 16, 13 LB2027) Wenn wir also uns selbst und unsere Gemeinde angemessenen
einschätzen wollen, müssen wir nach Gottes Einschätzung fragen. Genau das tut David:
„Erforsche mich, Gott, und erkenne mein Herz; prüfe mich und erkenne, wie ich’s meine. Und sieh,
ob ich auf bösem Wege bin, und leite mich auf ewigem Wege.“
David erkennt an, dass seine eigene Einschätzung falsch oder teil-wahr sein kann. In der ehrlichen und
offenen Begegnung mit Gott sucht er nach Korrektur und neuer Ausrichtung.
„Herr, sieh mich an! Herr, sieh uns an!“ Diese Frage dürfen wir uns in dieser Woche angesichts der
Entscheidung zur Kooperation mit der Hoffnungskirche stellen. Denken wir vielleicht: „Vieles wird anders,
aber ich mache weiter wie bisher?“ Oder: „Vieles wird neu, aber wir können hoffentlich so bleiben wie
gehabt?“ Könnte es – angesichts der weitreichenden Entscheidungen – sein, dass uns unser Herr Jesus
Christus zur Erneuerung unserer Entscheidung für ihn und für seine Gemeinde ruft? Dass er unsere
Berufungen erneuern will? Lasst uns beten: „Herr, sieh mich an! Herr, sieh uns an!“
Steffen Kahl, Pastor der Evangelisch-Freikirchlichen Kreuzgemeinde Bremen – 09. November 2025 – KW 46