Gott ist im Kommen – Predigt zu Jes 66,18.21
Am Anfang der Predigt steht die Frage: ist es für uns heute eigentlich noch selbstverständlich,
dass sich jeder Baptist auch als Missionar versteht? Das ist durchaus einmal so gewesen. Eine
Anekdote aus dem Leben des Begründers des deutschen Baptismus‘, Johann Gerhard Oncken,
besagt, dass er in einem Gespräch einmal gefragt wurde, wie viele Missionare es in
Deutschland gebe. Seine Antwort, dass es 7.000 seien, rief großes Erstaunen hervor.
Tatsächlich meint er damit aber nicht etwa Menschen, die wir auch im heutigen Sinne explizit
als Missionare bezeichnen würden. Gemeint war stattdessen die Anzahl aller Mitglieder
deutscher Baptistengemeinden. Für Oncken war klar: jeder Baptist ist auch ein Missionar.
Würde wir das auch heute so sehen? Vertretbar wäre der Standpunkt ja durchaus. Schließlich
gilt der Missionsbefehl, den Jesus seinen Jüngern an Himmelfahrt erteilte, nicht einer
bestimmten Gruppe seiner Nachfolger, sondern allen. Es handelt sich doch also um einen
Auftrag, den wir eigentlich nicht an bestimmte Menschen delegieren, die wir dann „Missionare“
nennen, und hätten dann selbst mit dem Thema nichts mehr zu tun. Klar ist ja: ein Auftrag, den
Jesus seinen Nachfolgern gibt, gilt allen Christen. So ist es ja zum Beispiel auch mit dem Gebot
der Nächstenliebe, das Jesus gemeinsam mit dem Gebot der Liebe zu Gott, das höchste Gebot
nennt.
Sehen wir uns also alle als Missionare? Manche von uns tatsächlich, für die mag die Frage
schon merkwürdig wirken. Für Andere ist das Nachdenken darüber jetzt vielleicht Anstoß, in der
Nachbarschaft missionarisch aktiv zu werden. Oder wieder andere fühlen sich heraus- und
überfordert bei dem Gedanken, sich mit Menschen auseinandersetzen zu müssen, die vielleicht
ganz anders und fremdartig sind. Aber gerade hier, im Sein für Andere, schlägt das Herz
Gottes.
Deutlich wird das, vielleicht überraschend, schon an einem Text aus dem Alten Testament. Dort
wird ja eigentlich vor allem die Geschichte des Volkes Israel erzählt, also der Menschen, die
schon durch Geburt zu Gott gehören. Zu ihnen aber wird durch den Propheten Jesaja gesagt:
„18 Der HERR sagt: »Die Zeit kommt, dass ich die Menschen aller Völker und Sprachen
versammle. Sie alle werden zu mir kommen und meine Herrlichkeit sehen. 21 Selbst aus den
anderen Völkern werde ich Menschen als Priester und Leviten zum Dienst an meinem Heiligtum
bestimmen.“ (Jes. 66,18.21, GNB) Hier überrascht diese Botschaft, die dem Volk Gottes nach
dem Exil in Babylon gesagt wird, vielleicht besonders. Schließlich stand vielfach noch die
Erfüllung prophetischer Zusagen Gottes an sein Volk aus. Vieles an Wiederherstellung,
Gesundung und Heilung musste erst noch geschehen. War es da nicht eine Überforderung,
diesem Volk, dass gerade so gelitten hatte (und sicherlich an den Folgen immer noch litt) jetzt
eine solche Verheißung, die ja auch ihre Unterdrücker mit einschließt, zu sagen?
Was sich auf der einen Seite als Entwertung für die Einen (Israel) anfühlen mag, ist aber
andersherum verstanden – und so ist es gemeint – eine ungeheure Aufwertung (für ALLE
Menschen). Gott sagt gewissermaßen schon damals: alle Menschen sind mir wertvoll. Doch der
Anspruch, alle diese Menschen jetzt auch erreichen zu wollen, scheint doch unerfüllbar. Gerade
auch, wenn wir uns heute davon ansprechen lassen wollen. Bei genauerem Lesen aber sehen
wir: Nicht wir sollen zu all diesen Menschen kommen, sondern Gott sagt von sich: ich komme.
Die grammatische Form, in der es der hebräische Text sagt, zeigt: gemeint ist nicht ein
Kommen Gottes, das einmal sein wird, einmal war oder nur zu einem bestimmten Zeitpunkt.
Sondern Gott beschreibt sich als einen Kommenden. Er sagt gewissermaßen: „So bin ich: ein
Kommender zu den Menschen, damit sie meine Herrlichkeit sehen.“
Nicht wir müssen also Gott erst zu den Menschen bringen, sondern Gott ist schon da. Wir
dürfen, nicht als Vor-, sondern Mitarbeiter Gottes – als seine Missionare – dabei sein. Dabei im
Leben der Menschen, ihr Leben teilen, in dem Gott sich finden lassen will. Denn Gott ist im
Kommen. Immer. Und wir dürfen dabei sein.
Pastor Micha Soppa; 07.02.2023